Tapfer sein und Weihnachten retten (Teil 3)

Johanna war außer sich vor Schreck. Die Worte, Weihnachten müsse dieses Jahr leider ausfallen, klangen noch in ihren Ohren nach. Hatte der Weihnachtsmann gerade wirklich diese Trauerbotschaft verkündet? Sie sah zu ihrem vierbeinigen Freund auf. „Und was machen wir jetzt?“, fragte sie ihn.  

„Ach“, begann Rudolf seufzend, „Es tut mir leid, dass Du den Weg hierher umsonst gemacht hast“.

„Nein, Weihnachten darf auf keinen Fall ausfallen! Wir müssen mit dem Weihnachtsmann sprechen“, sagte Johanna entschieden. 

Alle Wichtel und Weihnachtselfen in der Werkstatt waren furchtbar aufgeregt. Die Nachricht vom Weihnachtsmann hatte wie eine Bombe eingeschlagen. Es herrschte viel Gemurmel und Gebrumme untereinander, und manche standen auf einmal wie arbeitslos und unbestellt da. Der Weihnachtsmann selber hatte sich bereits schnaufend aus der großen Halle begeben. Er habe ein eigenes, kleines Büro, meinte Rudolf. Dort dürfe ihn normalerweise niemand stören. Doch Johanna drängte das Rentier, trotzdem zu ihm zu gehen. „Wir dürfen doch jetzt nicht aufgeben“, sagte sie, während sie sich durch das Gedränge in der Werkstatt schob. Das Büro lag auf der Hinterseite der großen Wichtelwerkstatt. Um dorthin zu gelangen, würden Johanna und Rudolf an der Wichtelküche vorbei und durch den großen Rentierstall gehen müssen. Doch da zögerte Rudolf. 

„Ist was?“, fragte Johanna, als Rudolf scheinbar nicht weiter gehen wollte. 

„Also… Ich würde lieber hier warten“, antwortete Rudolf. „Du musst nur noch hier durch die Tür, dann bist du schon im Rentierstall. Und dann gehst Du weiter gerade aus, an den Futterständen vorbei, dann kommst du zu einer grünen Tür. Das ist die Tür vom Weihnachtsmann, da musst du dann klopfen.“ 

Rudolf hatte bestimmt Angst vor den Kommentaren der anderen Rentiere, vermutete Johanna. Der Arme, dachte sie, macht sich ständig Gedanken, was andere über ihn denken. Dabei fand Johanna den Rudolf doch so freundlich und lustig. 

„Na gut, wenn du meinst, Rudolf“, sagte sie und klopfte ihm freundlich auf den Hals. „Warte hier auf mich, ja? Und wünsch’ mir Glück!“. Dann nahm Johanna allen Mut zusammen und ging in den Rentierstall. Hier waren mittlerweile auch die sechs Rentiere, die den Schlitten gezogen hatten, wieder einquartiert. Ein Rentier hustete allerdings ununterbrochen. Es hatte sich bereits hingelegt und sah gar nicht gut aus. Daneben stand ein anderes Rentier mit hocherhobenen Geweih und sagte gerade zu dem Kranken: „He, stecke uns bloß nicht an mit deinem Gehuste! Das können wir jetzt nicht auch noch gebrauchen.“ 

Das klingt aber unfreundlich, dachte Johanna und wollte lieber schnell durch diesen Stall hindurch huschen, als ihre rechte Hand in ihrer Jackentasche einen Hustenbonbon ertastete. Ihre Mama hatte ihr den gegeben, falls sie mal einen trockenen Hals bekommen sollte. Aber jetzt könnte das kranke Rentier den vielleicht viel besser gebrauchen? Sie ging zu dem liegenden Rentier und streckte den Hustenbonbon entgegen. „Schau mal, vielleicht hilft der.“ 

Das kranke Rentier hob den Kopf und sah Johanna an. Neugierig schnupperte es an der kleinen Hand des Mädchens. „Ist das so ein Zauber Bonbon?“, fragte es zögerlich. 

„Ja genau!“, und Johanna strahlte dabei. „Mir hilft das immer, wenn ich mal Husten habe“. 

Das Rentier vor ihr nahm den Bonbon und entfernte mit den Zähnen geschickt das Papier. Kaum begann es, den Bonbon zu lutschen, bedankte es sich und sagte, es sei schon viel besser. 

Glücklich, etwas Gutes getan zu haben, ging Johanna nun mit mehr Mut weiter und klopfte an der grünen Tür. Johanna wartete kurz, dann ging die Tür auf. „Hallo?“, fragte der Weihnachtsmann überrascht. „Nanu, wer bist du denn?“

„Ich bin Johanna“, sagte das Mädchen. 

„Liebe Johanna, tut mir leid, ich kann gerade keine Wunschzettel mehr annehmen. Denn wie du vielleicht gehört hast, muss Weihnachten dieses Jahr leider ausfallen“, sagte der Weihnachtsmann mit seiner tiefen, ruhigen Stimme. Aber er klang irgendwie auch traurig dabei. 

„Ja, ich muss unbedingt mit dir darüber reden. Darf ich ‘reinkommen?“, fragte Johanna. 

Da öffnete der Weihnachtsmann die Tür ganz und ließ Johanna in sein Büro. „Also schön, möchtest du eine Tasse Tee?“, fragte er. Als Johanna freudig nickte, goss er aus einer Kanne fertigen Tee in zwei Tassen, gab eine davon Johanna und bot ihr einen roten Sessel an. Er selber setzte sich mit seiner Tasse wieder auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch. Der Schreibtisch war über und über mit Zetteln und Papier bedeckt. Lauter Wunschzettel und Briefe, vermutete Johanna. Im Raum selber gab es sonst noch einen Tisch mit Bastel- und Werkzeugen. Aus den Regalen quilten allerlei Kartoffel- und Geschenkesäcke heraus. Johanna sah Ordner mit verschiedenen Städten bezeichnet. Ansonsten gab es in dem Zimmer ein Fenster mit Blick auf den eingeschneiten Wald draußen und eine große Landkarte, auf denen die effizientesten Flugrouten eingezeichnet waren. 

„Du möchtest bestimmt wissen, warum Weihnachten ausfallen muss“, sagte der Weihnachtsmann und schlürfte an seinem Tee. 

„Ja genau!“ 

Der Mann im roten Mantel kratzte sich schon die ganze Zeit an den Handgelenken. 

„Also ich will versuchen, es dir zu erklären, liebe Johanna. Dieses Jahr haben wir einen ungewöhnlich kalten Winter. So kalt, dass der Geschenktransport gefährdet ist. Dann ist außerdem vor kurzem mein eines Rentier Dupic erkrankt, es hat einen bösen Schnupfen erwischt. Ich fürchte, wenn Dupic ausfällt, kann ich nur mit vier statt sechs Rentieren den Schlitten ziehen, und da können wir den Schlitten nicht so schwer beladen. Wir bräuchten also mehr Zeit…“. Wie der Weihnachtsmann sich über seinen weißen, langen Bart fuhr, bemerkte Johanna seine ganz rote und wunde Hand. 

„Ja, und das ist noch gar nicht alles“, fuhr er fort und legte die Stirn in Falten. „Ich habe dieses Jahr so unfassbar viel zu tun, das kann kein Weihnachtsmann der Welt schaffen. Bei dem ganzen Stress habe ich einen ganz juckenden und bösen Hautausschlag bekommen. Der Arzt meinte, es sei Neurodermitis, die durch Stress ausgelöst wird. Ständig jucken meine Hände und Arme, sodass ich mich immerzu kratzen muss. Dadurch tut die Haut sehr weh und ich kann mich kaum konzentrieren. So kann ich dieses Jahr einfach nicht arbeiten, auch wenn es mir sehr leidtut.“

Wiedereinmal war Johanna nun völlig überrascht. Der Weihnachtsmann hatte auch Neurodermitis, genau wie sie? Sie wusste nicht, dass das möglich war. „Oh nein, lieber Weihnachtsmann!“, rief sie. Hieß das, wenn der Weihnachtsmann an derselben Krankheit litt, wie sie, dass er sie dann auch nicht davon heilen konnte? Aber das durfte jetzt nicht an erster Stelle stehen, dachte Johanna. Sie stand auf und sagte: 

„Wir müssen jetzt tapfer sein und Weihnachten retten! Lieber Weihnachtsmann, ich habe ja auch selber Neurodermitis und weiß, wie das ist. Aber bei Weihnachten geht es doch um so viel mehr als um Stress und das blöde Jucken. Zu Weihnachten sollten sich alle lieb haben und in den Arm nehmen. Meine Mama nimmt mich immer ganz lieb in den Arm, wenn es mit der Haut so schlimm ist oder jemand gemein zu mir war. Dann mache ich mir nicht mehr so viele Sorgen und weiß, dass ich nicht alleine bin“. Nun blickte auch der Weihnachtsmann erstaunt auf. Johanna fuhr fort: „Den meisten Stress machen wir uns doch selbst. Du musst ja gar nicht der beste Weihnachtsmann der Welt sein. Wenn mal ein Geschenk zu spät ankommt, ist das nicht schlimm, dafür gibt es doch den zweiten und dritten Weihnachtsfeiertag. Komm, lieber Weihnachtsmann, gib jetzt nicht auf. Gemeinsam schaffen wir das!“. Johanna schaute den Weihnachtsmann erwartungsvoll an. Gleichzeitig empfand sie ein tiefes Mitgefühl für ihn, da sie seine Belastung durch die Ekzeme nur allzu gut nachempfinden konnte. 

„Ach Johanna“, erwiderte der Weihnachtsmann, „Du machst mir ja richtig Mut.“

„Na klar, und ich helfe dir! Und ich habe da schon ein paar tolle Ideen. Ich muss dir nämlich unbedingt meinen Freund Rudolf vorstellen. Du glaubst gar nicht, wie gut der einen Schlitten ziehen kann. Der wird das kranke Rentier Dupic super vertreten. Komm’ mit!“

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